Die Morphologie ist die Lehre von den Formen. Sie ist in vielen Wissenschaftszweigen zu finden, z.B. in der Sprachwissenschaft, der Geologie und auch in der Biologie.
Der Begriff stammt von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der ihn als die Lehre von den Formen, besonders in der Botanik, eingeführt hat.
Eine Morphe (griech.: Gestalt, Form) ist eine biologische Bezeichnung, die Populationen oder Subpopulationen einer Art beschreibt, die sich (u. a. auch phänotypisch) unterscheiden. Morphen sind häufig auch in Verhalten und ökologischen Merkmalen verschieden.
Dendrobates tinctorius ist eine polymorphe* (=vielgestaltige) Art von grossen Dendrobaten, die nur auf dem östlichen Guyana-Schild und seiner Umgebung auftritt. Die morphologische Variation zwischen Populationen ist bemerkenswert, insbesondere im Hinblick auf Farben und Muster.
*Als Polymorphismus (griechisch: Polymorphismos ‚Vielgestaltigkeit‘) bezeichnet man im Fachgebiet Genetik das Auftreten einer oder mehrerer Genvarianten (das heisst: eines oder mehrerer Allele innerhalb einer Art). Definitionsgemäß muss die Auftretenshäufigkeit der Genvariante (die Allelfrequenz) größer als ein Prozent sein, andernfalls wird von einer Mutation gesprochen.
Spätestens durch SILVERSTONE (1975) sind viele Varianten von D. tinctorius bekannt geworden, die sich deutlich in Farbe und Muster unterscheiden. Im Gegenzug dazu wurde D. azureus, welcher nur geringe morphologische Unterschiede zu D. tinctorius aufweist und nur von einem einzigen Fundort innerhalb des Verbreitungsgebietes von D. tinctorius bekannt ist, als eigenständige Art aufgefasst (HOOGMOED 1969, SILVERSTONE 1975).
Die deutlichen Unterschiede der D. tinctorius-Varianten in Farbe und Muster liessen entweder Zweifel an ihrer gemeinschaftlichen Zuordnung zu einer Art, oder alternativ am taxonomischen Status von D. azureus als valide Art aufkommen. Zusätzlich war noch unklar, ob die Farbmuster-Variation für die phylogenetische* Analyse genutzt werden kann.
*Phylogenese (altgr. ????? phýlon „Stamm“ und ??????? génesis „Ursprung“) bezeichnet sowohl die stammesgeschichtliche Entwicklung der Gesamtheit aller Lebewesen als auch bestimmter Verwandtschaftsgruppen auf allen Ebenen der biologischen Systematik. Wird auch verwendet, um die Evolution einzelner Merkmale im Verlauf der Entwicklungsgeschichte zu charakterisieren.
Anmerkung zum Neotyp:
festgelegt von Silverstone, 1975, Sci. Bull. Nat. Hist. Mus. Los Angeles Co., 21:47
Typ localitiy: lower Rivière Matarony (Approuage drainage), French Guyane, 35m
Die molekularbiologischen Methoden hielten in den vergangenen Jahren mehr und mehr Einzug in die systematische Forschung. Mit ihrer Hilfe lassen sich Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Tiergruppen immer besser erforschen. So erfolgte erst jüngst eine komplette Revision der Systematik der Froschlurche, Ende 2006 erschien zudem eine neue, auf DNA-Sequenzunterschieden basierende Systematik für die neotropischen Baumsteigerfrösche der Familie Dendrobatidae. In der vorhergehenden, rein morphologischen Revision der Pfeilgiftfrösche der Gattung Dendrobates stellte SILVERSTONE (1975) bereits viele Varianten des Färberfrosches Dendrobates tinctorius vor, die sich deutlich in Färbung und Zeichnung unterscheiden (sie zeigen einen Farbmuster-Polymorphismus). SILVERSTONE ordnete alle diese Varianten derselben Art D. tinctorius zu. (Text übernommen von K.C. Wollenberg)
Heute lassen sich einzelne Varianten sehr genau bestimmen und von anderen abgrenzen. Untersuchungen zeigen, dass die genetischen Distanzen aller D. tinctorius zugewiesenen Varianten zwischen 0 und 0.48% liegen. Als Konsequenz kann man sagen, dass sie eine einzige Spezies repräsentieren, welche zu derselben Evolutionslinie gehören.
Zusammen mit D. auratus (GIRARD, 1854), D. truncatus (COPE, 1860), D. leucomelas (FITZINGER, 1864) und D. nubeculosus (JUNGFER & BÖHME, 2004) bildet D. tinctorius die phänetische* tinctorius-Gruppe (JUNGFER & BÖHME 2004, SILVERSTONE 1975). Neuere molekulargenetische Untersuchungen zeigen, dass diese Gruppe ein Monophylum** darstellt (SANTOS ET AL. 2003, VENCES ET AL. 2003). Von D. truncatus und D. nubeculosus sind allerdings noch keine molekularen Daten vorhanden.
*Phänetik ist ein Klassifikationssystem in der biologischen Systematik. Ziel ist die Aufstellung einer biologischen Taxonomie anhand von morphologischen Merkmalen.
**Monophylum oder monophyletische Gruppe ist eine systematische Einheit, die einen gemeinsamen Vorfahren und alle seine Nachfahren enthält.
Dendrobates nubeculosus ist provisorisch in die tinctorius-Gruppe aufgenommen worden. Ein Männchen ist heute vom Holotyp bekannt (ZFMK 45354) und 24.5 mm gross. Es wurde 1984 am Essequibo-Fluss bei Rockstone in franz. Guyana gesammelt. Seine wirklichen Farben sind unbekannt!
Lesen Sie hier den Artikel zu D. nubeculosus von KARL-HEINZ JUNGFER & WOLFGANG BÖHME
Trotz aller Wissenschaft wird es nie möglich sein, ein vollständiges Bild aller D.tinctorius Varianten zu präsentieren, weil
w die geografische Zuordnung zu den heutigen Variantenbezeichnungen des Tinctorius-Komplexes problematisch ist
w Froschpopulationen nur ganz selten eine klare Grenze haben, ausser bei unüberwindlichen Hindernissen wie grossen Flüssen, Savannen oder anderen natürlichen Strukturen
w bei einigen Morphen ein genetischer Austausch mit einer anderen Variante stattfindet, welcher sich im Farbmuster und der Farbstruktur manifestiert
w es in allen Populationen Mutanten gibt, welche das Farbmuster verändern können und somit einem anderen geografisch fixierten genetischen Code ähneln
w uns Terrarianern meist der genaue geografische Ursprung der gehandelten Tiere nicht bekannt ist
w es bei vielen Pflegern teils seit Generationen viele D. tinctorius gibt mit falschem Namen, Bastarden oder aus zweifelhafter Herkunft. Oft treffen wir Tiere an, die anders als die Standardform aussehen und vergessen dabei, dass auch in der Natur zu einer bestimmten Variante sehr unterschiedliche Farben und Muster existieren.
w uns bei der Zuordnung eines D. tinctorius zu einem bestimmten Morph nichts anderes übrig bleibt, als Muster, Färbung und Grösse eines Frosches einer möglichen Vorlage zuzuordnen, ohne dabei die vorhin beschriebenen Gegebenheiten berücksichtigen zu können
In Artikeln, Büchern oder unzähligen Websites finden sich ungefähr 60 verschiedene Morphe bei D. tinctorius, wobei bei einigen klare Fragezeichen gesetzt werden müssen.
Die nachfolgende Übersicht über die verschiedenen Morphe basiert auf möglichst genauen Fakten und sie geht von Bildern aus dem natürlichen Biotop aus. Die geografische Zuordnung ist teils genau wiedergegeben (bei Morphen, die nur in einem klar abgrenzbaren Gebiet vorkommen), manchmal nur mit einer ungefähren Angabe aufgeführt (wenn nicht bekannt ist, wie weit der Morph verbreitet ist) oder gar nicht spezifiziert (weil der Fundort nicht bekanntgegeben werden soll).
Gerne werde ich weitere Bilder und ergänzende Informationen im Morphguide einbauen, wenn sie aus fundierten Quellen stammen. Auch sind Kritik und Bemerkungen erwünscht auf: quaki(at)bluewin.ch